„Ich liebe Kontraste! Dick und dünn, scharf und weich, geschwungen und gerade, rau und glatt, schlicht versus opulent, verspielt und doch funktional.“
Ester Bruzkus steht ein bisschen unter Zeitdruck: Gleich kommt die Fotografin zu ihr nach Hause für die Produktion der Modebilder und Porträts auf diesen Seiten. Es ist Freitagvormittag, eben hat sie noch die Wohnung aufgeräumt, ein Dachgeschoss in Berlin-Prenzlauer Berg. Am Montag wird sie in den Urlaub fahren. Da gibt es vorher natürlich einiges zu erledigen – zumal als Unternehmerin mit internationalen Kunden und einem Team von 15 Mitarbeitern. Gestresst wirkt die Architektin aber nicht. Sie ist eine kraftvolle, selbstbewusste und dabei sehr offene, liebenswerte Person. Reflektiert, positiv – und fröhlich! Joyful woman? Ja, ganz genau. Vielleicht verdankt sie ihren außerordentlich großen Erfolg nicht zuletzt diesen Eigenschaften. 2018 gewann sie den renommierten Best of Interior Preis, Ende 2021 kürte die Architekturzeitschrift AD sie zu einer der wichtigsten Kreativen weltweit.
Ester Bruzkus machte sich vor genau 20 Jahren selbstständig, die Liste der seither von ihr und ihrem Büro realisierten Projekte ist schwindelerregend lang. Sie gestaltete Restaurants für Tim Raue, das edle Berliner Kino Delphi Lux und zahlreiche Hotels, darunter 15 Häuser der Hotelkette Azimut in Russland. Legendär: das Restaurant L.A. Poke in Berlin, die Villa Kellermann in Potsdam. Hinzu kommen viele weitere Restaurants, Büros, Hotels, Läden, Privatwohnungen und -häuser. Jedes ein Unikat, geschaffen nach den Bedürfnissen und Wünschen des Bauherrn, den Gegebenheiten und Funktionen der Immobilie – und dem Leitmotiv der Architektin. „Ich liebe Kontraste“, sagt Ester Bruzkus, „dick und dünn, scharf und weich, geschwungen und gerade, rau und glatt, schlicht und opulent, bunt und zurückhaltend, verspielt und doch funktional.“ Um zu verstehen, dass es ihr nicht in erster Linie um schöne Kunst geht, muss man wissen: Eine Innenarchitektin macht zwar auch Dekoration, aber viel mehr geht es um Raumarchitektur, Grundrisse, Planungen, Berechnungen, Achsen und Perspektiven. Die Arbeit des Büros Bruzkus umfasst das gesamte Programm von der Idee bis zur Fertigstellung. Zwar entwirft die Designerin auch Möbel. Meist aber geht es um Baumaßnahmen. Da werden Wände gezogen, da wird das Innere einer Immobilie manchmal um- oder sogar völlig neu gestaltet. „Ich bin Hochbauarchitektin. Farben und Textilien kommen oft erst ganz zum Schluss, sind sozusagen das Sahnehäubchen.“
Es ist ein harter Job, findet sie, und als sie den erstaunten Blick der Gesprächspartnerin bemerkt, fragt Ester Bruzkus: „Haben Sie schon mal für sich selbst gebaut?“ – Nein, will ich auch gar nicht. „Okay, haben Sie schon mal renoviert?“ – Ja, selbstverständlich. „Gut. Dann haben Sie eine Vorstellung. Bauen macht nicht wirklich Spaß. Es ist anstrengend. Man muss kämpfen, damit alles so läuft, wie man es sich wünscht. Die meisten Menschen machen das vielleicht einmal im Leben. Und dann nie wieder.“ Die Architektin macht es ständig. Gut möglich, dass die Mischung aus Quirligkeit, Direktheit und Humor, die sie hier gerade präsentiert, sehr zum Gelingen ihrer Arbeiten beiträgt. „Es ist immer wieder ein langer Weg und kostet viel Kraft. Es braucht einen großartigen Bauherrn, der sich für Qualität und Visionen entscheidet. Essenziell sind gute Handwerker. Die Planung muss stimmen, man braucht sehr viel Wissen, Präzision und Gefühl.“ Jedes einzelne Projekt empfindet Ester Bruzkus „wie eine schwere Geburt“. Dennoch arbeitet sie sehr gern. „Es ist vielleicht wie bei uns Frauen: Man vergisst die Schmerzen und wird wieder schwanger, weil das Ergebnis so schön ist.“
Sie selbst wurde in Haifa geboren, ist die Tochter russisch-jüdischer Migranten, für die Israel nur eine Zwischenstation war. Als kleines Kind kam sie nach Berlin, wuchs im Westen, im bürgerlichen Stadtteil Wilmersdorf auf. „Meine Mutter hat mich allein aufgezogen und mir beigebracht, dass ich alles erreichen kann. Starke Frauen wie sie und meine Oma haben mich sehr geprägt. Für Flüchtlinge in Deutschland, nur 30 Jahre nach dem Krieg, war es hier wirklich ein hartes Pflaster. Daher bin ich superstolz auf meine Mutter.“ Die übrigens zunächst als Krankenschwester arbeitete, später in die Immobilienbranche wechselte und sich als Maklerin selbstständig machte. Ihr Alter verrät Ester Bruzkus nicht, „das ist einfach privat“, man könne es sich ja anhand ihres Lebenslaufs zusammenreimen. Als Jugendliche verschlang sie Modemagazine, sie liebte Farben und Stoffe, ihr erster Berufswunsch war Modedesignerin. Der zweite: Architektin. „Schon mit 18 stand das für mich fest. Ich wollte etwas Kreatives, aber Handfestes machen. Modedesign fühlte sich riskant an. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man damit sein Leben finanziert.“ Mit ihrem „sehr schlechten Abitur“ bekam sie nicht gleich einen Studienplatz. So bewarb sie sich bei Disney World in Florida – erfolgreich. „Ich bekam eine Grundausbildung in Hospitality, dann servierte ich im deutschen Pavillon Bier, im Dirndl. Es ist spannend, im Nachhinein zu sehen, wie Kreise sich schließen. Das Jahr bei Disney hat mir geholfen zu verstehen, wie Gastronomie und Hotellerie funktionieren.“ So kann sie Restaurants und Hotels heute viel besser planen als ohne eine vergleichbare Erfahrung.
Ihr Studium der Architektur absolvierte sie schließlich an der TU Berlin, ein Jahr lang studierte sie auch in Paris, sie machte Praktika und hatte freie Jobs in Tel Aviv und Paris. Im Jahr 2002 machte sie sich selbstständig, 2009 kam der große Durchbruch mit der Eröffnung des von ihr gestalteten Amano Hotels in Berlin. Seither kann Bruzkus sich ihre Aufträge aussuchen. Vor vier Jahren stieg ihr Ehemann Peter Greenberg, ebenfalls Architekt sowie Professor für Architektur, als Partner in ihre Firma ein. Beider Alltag ist weitgehend von Arbeit geprägt, meist kommen die beiden spät nach Hause, der Fußweg vom Büro beträgt sieben Minuten, abends kochen und essen sie, mehr Freizeit gibt es unter der Woche nicht. Am Wochenende, so der Vorsatz, wird – wenn es ein freies Wochenende ist – nicht über die Arbeit gesprochen. „Das ist nicht immer leicht einzuhalten, unser Beruf ist ja auch Berufung.“ Gefragt nach einem für sie besonders wichtigen Designelement oder Möbel, folgt die Antwort prompt: „Das Bett! Ich finde, ein großartiges Bett erhöht die Lebensqualität. Und Freiheit ist wichtig, auch im Schlafzimmer. Unser Schlafzimmer ist zum Beispiel ganz klein, aber es hat riesige Fenster. Dadurch hat man ein Gefühl von Freiheit.“ Was sie überhaupt nicht nachvollziehen kann: dass in Hotels immer die Vorhänge zugezogen sind. „Das ist eine komische Angewohnheit von Hoteliers. Ich verstehe sie nicht. Wenn ich in ein Hotelzimmer komme, ziehe ich zuerst die Vorhänge auf.“ Ohnehin findet sie, ein Hotel müsse inspirieren und etwas wagen. Eine Gestaltung in Grau und Beige etwa sei zwar „sicher“, weil sie niemanden verstöre. Ester Bruzkus aber langweilt so was. Entsprechend lebendig sieht es in Hotels aus, die sie selbst gestaltet hat.
Ihr nächster Hotelaufenthalt steht in wenigen Tagen an: Griechenland. Eine Woche Strandurlaub – eine große Ausnahme für das Ehepaar Bruzkus-Greenberg. „Letztes Jahr sind wir durch Finnland gereist und haben uns die meisten Bauwerke von Alvar Aalto angeschaut. Vor der Pandemie waren wir auf Architektur- und Designreise durch Indien. Wir sind schon Architektur- Nerds.“
CREDITS
Fotografie: Debora Mittelstaedt, Text: Nele-Marie Brüdgam, Agnarsdottir/Mirrrs, Produktion: Michaela Stout, Styling: Ourania Marmara/4 Artists Management, Hair & Make-up: Patricia Heck