Kristina Suvorova ist seit Langem als Illustratorin erfolgreich, inzwischen macht die gebürtige Litauerin auch als Künstlerin von sich reden – mit Skulpturen, Installationen und Videos, vor allem aber mit großformatigen, ausdrucksstarken Gemälden. Deren Markenzeichen sind Augen.


Suvorovas Werke zeigen häufig Menschen oder andere Wesen mit mehreren Augenpaaren. Was es damit auf sich hat, woher sie ihre Inspiration zieht und was sie mit ihrer Kunst ausdrücken möchte. Das und mehr verrät uns die 33-Jährige, die in Frankfurt lebt und arbeitet, im Interview.

Sie waren zunächst Illustratorin. Wie sind Sie zur Kunst gekommen?


Stimmt nicht ganz: Meine erste Ausstellung habe ich im Kindergarten gemacht – also war ich zuerst Künstlerin! Aber im Ernst: Von klein auf habe ich gern und viel gemalt und gezeichnet. Einmal ging im Kindergarten sogar das Papier aus, weil ich alles vollgemalt habe. Da haben die Erzieherinnen Bilder von mir zusammengestellt und sie allen Eltern gezeigt, als die ihre Kinder abholten. Das Kreative war schon immer in mir.

Okay! Wie sind Sie also von der Kunst zur Illustration gekommen?


Ich bin nach dem Abitur nach Deutschland gezogen und habe in Darmstadt Game and Animation Design studiert. Ich wollte etwas Kreatives und zugleich Zukunftsorientiertes machen. Dann habe ich meine damalige Agentin kennengelernt, Svetlana Jakel von der Illustrationsagentur kombinatrotweiss. Ich konnte dort sehr viel realisieren, mich weiterentwickeln, hatte aber auch immer das Gefühl, dass ich Kunst machen, etwas aus mir herausbringen wollte.

Wo verläuft denn Ihre Grenze zwischen Illustration und Kunst?


Illustrationen kreiere ich auf Bestellung. Allerdings kamen von Anfang an meist Auftraggeber auf mich zu, die mit Themen zu tun hatten, die mich in dem Moment sowieso beschäftigten: Menschenrechte, Umwelt, Klimawandel. Psychologie. Beziehungen zwischen Menschen. Es ist kurios. Ob meine Kunden das irgendwie gespürt haben? Mir war und ist es immer wichtig, mich um meine eigene innere Welt zu kümmern, aber ich will auch etwas zurückgeben und die Welt für uns alle ein klein bisschen besser machen. Bis heute schaue ich bei Auftragsarbeiten, ob es Themen sind, die in meinen Augen einer guten Sache dienen. Es ist eine kommerzielle Arbeit, aber es geht nicht nur um Produkte, sondern um Werte.

Und wie ist Ihre Beziehung zur Mode?


Mode gibt uns die Möglichkeit, verschiedene Seiten unserer Persönlichkeit zu zeigen. Man kann in eine Rolle schlüpfen, kann Mode aus früheren Zeiten tragen, kann Männer- oder Frauenkleidung anziehen, kann etwas ausprobieren, etwas erzählen … Als Kind habe ich auf dem Dachboden meiner Oma alte Kleider gefunden, die mir viel zu groß waren. Ich habe Outfits kombiniert, bin damit durch den Garten gehüpft, hatte so viel Spaß! Heute weiß ich, dass Mode eine Möglichkeit ist, mich auszudrücken. Vielleicht spürte ich das damals schon.

The expressive Kristina … Was bringen Sie mit Ihrer Kunst zum Ausdruck?


Wenn ich intensiv über eine Thematik nachdenke, sie monatelang in mir trage, mich mit anderen darüber austausche, dann beschließe ich nicht konkret: Darüber male ich jetzt ein Bild! Aber natürlich spielt es dann eine Rolle in meiner Kunst. Etwa die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Und ich meine nicht die Gender-Frage oder das Thema Gleichberechtigung. Sondern: Was bedeutet es, eine Frau zu sein in dieser Welt? Manchmal bahnen sich solche Themen völlig intuitiv ihren Weg in ein Werk. Dann lese ich die Bedeutung und die Geschichte eines Bildes erst im Nachhinein.

Haben Sie dafür ein Beispiel?


Ja! Das Bild „The Queen Left With the Knight“. Drei Wochen, nachdem ich es gemalt hatte, zeigte ich es meiner Schwester. Erst in dem Moment wurde mir bewusst, was das Gemälde darstellt: Es ist die Schach-Dame, also die Königin des Spiels, die hier auf der Pferdefigur aus dem Spiel verschwindet. Sie trägt keine Krone, keine königlichen Insignien. Trotzdem ist sie ein besonderes Wesen. Vielleicht hat sie die Krone abgelegt. Sie wollte weg vom Brett, hinaus in die weite Welt. Mit dem Pferd hat sie sich gut verstanden, so haben sie sich gemeinsam davongemacht.

Welche Bedeutung haben die vielen Augen der „Königin“ und anderer Menschen und Wesen auf Ihren Bildern?


Mich faszinieren Menschen, die Psyche, verschiedene Charaktere, verschiedene Erfahrungen. Jede und jeder von uns ist so einzigartig. Das ist unglaublich spannend, und ich finde, wir sollten neugierig sein. Offen, aufgeschlossen. Es ist so wichtig, einander zuzuhören und aufmerksam zu betrachten. Empathisch zu sein, hinzuschauen und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Deshalb die vielen Augen.

Was fühlen Sie, wenn Sie malen?


Vor allem Glück. 2020 habe ich meine ersten Ölfarben gekauft und meine ersten Leinwände selbst gebaut. Ich liebe es, mir die Hände mit Farbe schmutzig zu machen. Das Haptische, das Analoge zieht mich total an. Auch ein schönes Papier zum Beispiel kann mich faszinieren. Ich mag momentan überhaupt nicht mehr digital kreieren. In digitalen Zeichnungen steckt für mich zu wenig Seele. Ich will Reales kreieren für die echte Welt.

Ihre Bilder sind oft sehr bunt, fantasievoll, märchenhaft. Woher kommt das?


Die Quelle dafür liegt sicher in meiner Kindheit. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, in unmittelbarer Nähe zur Natur. Und ich war oft bei meiner Oma, die mitten im Nirgendwo lebte. Sie hatte sehr viele Bücher und hat mich vertraut gemacht mit der Welt der Mythen, der Märchen und der Literatur. Ich bin immer noch überzeugt, dass jener Ort magisch ist. In einem Wald dort gab es Ecken, in denen ich seltsame, unheimliche Wesen vermutete. Es war eine Welt voller Fantasie. Bis heute sind die Literatur und die Natur meine Hauptinspiration. Darin steckt so viel Leben! Auch Pflanzen und Tiere können eine Persönlichkeit haben. Und eine Blume kann träumen.

„Mode gibt uns die Möglichkeit, verschiedene Seiten unserer Persönlichkeit zu zeigen. Man kann in eine Rolle schlüpfen, kann etwas ausprobieren und etwas erzählen.“

CREDITS
Fotografie: Evelyn Dragan, Produktion: Michaela Stout, Styling: Ineska Barić, Hair & Make-up: Kim Angermann, Fotoassistenz: Joana Scharnagl