In einer kleinen chinesischen Provinz, irgendwann im 16. Jahrhundert, dachten sich Frauen eine eigene Schriftsprache aus. Sie stickten sie auf Kleidung, schrieben sie sich gegenseitig in die Handflächen, um sich über ihre Nöte auszutauschen, aber auch, um sich gegenseitig Mut zu machen. Nushu, so nannten sie ihre Erfindung, bedeutet „Frauenschrift“ – eine geschlechtsspezifische Geheimsprache im alten China, um in einer männerdominierten Welt zu kommunizieren. Denn die Frauen erkannten, dass sie am weitesten kommen, wenn sie die Dinge gemeinsam in die Hand nehmen. Viele hundert Jahre später geht es auch Melanie Schütze genau darum. Sie ist die Gründerin von Nushu Female Business, einem Karrierenetzwerk ausschließlich für Frauen. Für einen Interviewtermin braucht es etwas Geduld. Denn Melly, wie die 37-Jährige auch genannt wird, ist viel unterwegs. Als Speakerin für Unternehmen, als Event- und Podcast-Moderatorin und als Organisatorin für ihr Netzwerk. Jetzt sitzt sie an ihrem Schreibtisch in München; sie redet schnell, und man spürt ihre Freude an dem, was sie tut. „Ich will jede ambitionierte Frau da draußen zu einer Nushu machen, mit dem Ziel, mehr Weiblichkeit in die Wirtschaft zu bringen“, antwortet sie auf die Frage, was sie in zehn Jahren erreicht haben möchte. Active woman? Definitiv!
Gute Jobs werden oft über Beziehungen vergeben. Irgendwer kennt irgendwen, der jemanden kennt, der auf eine Stelle perfekt passt. Was aber, wenn man frisch von der Uni kommt oder aus der Elternzeit? Wenn man wenig Kontakte hat, keine Referenzen, keinen Titel und kein Empfehlungsschreiben? Oder wenn zwar eine Idee vorhanden ist – aber niemand, der einen professionellen Rat dazu geben könnte? Melanie Schütze fand keine Antworten auf diese Fragen in ihren ersten Jobs im Marketing und HR-Bereich. 2009 war sie von München nach Hamburg gezogen, hatte Sozialökonomie studiert und wollte durchstarten. Doch sie stieß auf Hindernisse. „Irgendwann gab es immer diesen Punkt, an dem es nicht mehr weiterging. In meinen Festanstellungen merkte ich, dass ich anders behandelt werde als meine männlichen Kollegen“, erinnert sie sich. Ihr Redebedarf, die große Sehnsucht nach Austausch auf Augenhöhe, blieb unerfüllt. Schütze reagierte und münzte ihren Ärger in Energie um: 2015 gründete sie die Alsterloge mit 100 Frauen, die sie größtenteils noch persönlich anrief und einlud. Das Feedback war riesig. „Hinterher bekam ich hunderte Mails mit der Frage, wer denn die Blonde mit der Brille oder die Frau mit dem roten Blazer war“, erinnert sie sich und lacht. Sie hatte einen Nerv getroffen, zog das Netzwerk professioneller auf und gründete schließlich Nushu als transparenten, branchenübergreifenden, positionsunabhängigen Gegenentwurf zum Old-Boys-Network. 3500 Frauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz tauschen sich darin aus. Eine Herzensangelegenheit für Melly Schütze: „Ich gebe gerne alles und bekomme auch sehr viel zurück. Mich macht es glücklich, wenn ich anderen helfen kann.“
Grundsätzlich ist es jeder Frau möglich, sich für die „sorgfältig kuratierte Community“, wie es auf der Website heißt, zu bewerben. Doch nicht jede passt. „Du musst nicht etabliert, aber hochmotiviert sein“, erklärt Melanie Schütze. „Es geht um deine Träume, deine Ziele und darum, was du erreichen willst. Wir sind ein Netzwerk für Frauen, die etwas vorantreiben wollen und gerne arbeiten.“ Nushu lebe von Verbindlichkeit, einem Geben und Nehmen, der Diversität seiner Mitglieder. Doch Schütze macht auch klar, was Nushu nicht ist: ein Kaffeeklatsch, eine Therapieeinrichtung oder ein Coachingunternehmen. Vielmehr baut Nushu Brücken, um Frauen zu verbinden. Hinübergehen muss jede selbst. Ob ihr das Netzwerken schon immer leicht gefallen ist? Sie lacht. „Ich habe drei kleine Geschwister. Da muss man zwangsläufig im Dialog sein. Und ja, ich bin eher temperamentvoll, habe aber auch eine introvertierte Seite“, sagt sie. Natürlich müsse man sich am Anfang überwinden, zum Beispiel alleine zu einem Event zu gehen und mit anderen ins Gespräch zu kommen. Aber je öfter man das mache, desto leichter falle es einem mit der Zeit. Frauen seien naturgemäß stark darin, sich auszutauschen, findet Melly. Diese Fähigkeit für sich zu nutzen, falle vielen jedoch erstmal schwer. „Frauen sind oft richtig gut in die Breite vernetzt, aber weniger nach oben. Das wollen wir ändern. Bei uns tauschen sich auch CEOs und Vorstände mit dem Nachwuchs aus.“ Nach und nach fallen dann die Hürden, machen Selbstsicherheit und Erfolgen Platz. „Wir nennen es nicht Vitamin B, sondern den ,Nushu-Effekt’. Er tritt ein, wenn du durch Nushu etwas erreichst, was du alleine nicht geschafft hättest“, ist Schütze überzeugt. Denn mit dem Wissen einer großen Gemeinschaft im Rücken falle vieles leichter. Aufzustehen, wenn ein männlicher Kollege einem ins Wort fällt. Oder das Gespräch zu suchen, wenn andere an einem vorbei befördert werden. „Der Gedanke, etwas nicht nur für sich zu tun, entlastet viele Frauen und lässt sie über sich hinauswachsen“, erklärt Melanie Schütze. „Die rocken richtig was, unsere Ladys.“
So viel Tatkraft erfordert auch mal Pausen. Was tut also Melanie Schütze, wenn sie mal nicht für Nushu aktiv ist? „Jedes Jahr verbringe ich mindestens vier Wochen in der Toskana, wo wir vor ein paar Jahren Land gekauft haben, weit abgelegen. Dort ist Schweigen angesagt. Ich genieße das Rauschen der Bäume. Sonst nichts.“
CREDITS
Fotografie: Julian Baumann, Produktion: Vanessa Zeeh, Styling: Ineska Barić, Hair & Make-up: Julia Koop, Fotoassistenz: Hubert Edler von Hayek, Text: Katrin Rave